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Weihnachtsmarktwirtschaft

Die Stadt war nicht besonders groß. Aber sie hatte ein romantisches mittelalterliches Stadtbild, und Touristen kamen gar nicht wenige. So leistete man sich auch jährlich einen Weihnachtsmarkt, der größer war, als die Stadt erwarten ließ.

Neben vielen anderen Dingen, die zu einem Weihnachtsmarkt gehören, also neben Glühwein und Popcorn, neben Kerzen und warmer Winterkleidung gab es auch zwei Stände mit geschnitzten Krippenfiguren in vielen Größen; und für die Leute mit weniger Geld hatten die Händler auch billigere Figuren aus Plastik bereitstehen. Der eine Stand gehörte Herrn Lang, der andere Herrn Kurz, und die Geschäfte liefen jahrelang so einigermaßen.

Aber wie es so geht: Eines Tages hatte jede Familie in der Stadt eine Krippe von Herrn Kurz oder Herrn Lang zu Hause stehen, und den Touristen saß das Geld auch nicht mehr so locker.

Da hatte Herr Lang eine Idee. Bei einer Kunststoffgießerei gab er eine völlig neue Krippe in Auftrag und brachte sie auf den Markt. So etwas war noch nie da gewesen. Und in diesem Jahr machte Herr Lang doppelt so viel Umsatz wie im Vorjahr und dreimal so viel wie Herr Kurz. Die Idee: Seine Krippenfiguren waren kleine Elche. Josef als großer Elch mit gewaltigem Geweih, Maria als etwas kleinere und geweihlose Elchkuh, das Jesuskind als winzig kleiner Elch mit einem ganz winzigen Geweih, die Hirten, die drei Könige: alles Elche. Nur die Schafe durften Schafe bleiben.

„Ach wie süß“, sagten viele – und kauften. Die Gewinnspanne pro Krippe war nur klein, aber die Masse macht’s bekanntlich. Am Heiligen Abend konnte Herr Lang hochzufrieden seinen Stand schließen. Alle Elche waren punktgenau verkauft.

Herr Kurz war alles andere als zufrieden. Er musste entweder eine neue Idee haben oder den Stand am Weihnachtsmarkt aufgeben. Er hatte Glück. Im Sommer wurde im Zoo der nahegelegenen Großstadt ein kleiner Eisbär geboren. Da ihn die Mutter nicht annahm, musste er mit der Hand aufgezogen werden. Die Zeitungen waren voll von dieser rührenden Geschichte.

Und Herr Kurz hatte nun seine Idee. Im Dezember gab es an seinem Stand jetzt eine Eisbärenkrippe: Jesus als kleiner Eisbär, umsorgt von Josef und Maria in Eisbärengestalt, besucht von Hirten und Königen mit dickem Kopf und weißem Fell. Das alles eingepasst in eine polare Eislandschaft, die Schafe waren durch kleine Seehunde ersetzt. Dieses Jahr war Herr Kurz der Gewinner.

Das ließ Herrn Lang nicht ruhen. Ein Dinosaurierfilm brachte ihn auf die Idee. Die Saurierkrippe war geboren: Jesus, Maria und Josef als friedliche Brontosaurier, der Verkündigungsengel als Flugechse mit beachtlicher Spannweite. Ein Tyrannosaurus Rex stand neben dem Stall; er hatte zwar mit dem Weihnachtsgeschehen gar nichts zu tun, aber er sah zumindest eindrucksvoll aus. Keine Frage, wer von den Krippenhändlern diesmal mehr Umsatz machte.

Im Jahr darauf brachte Herr Kurz die Unterwasserkrippe auf den Markt. Josef als Karpfen, Maria als Forelle; das Jesuskind war als leuchtender Neonfisch in einer weißen Muschelschale der besondere Clou, und die drei Könige schwammen passenderweise als Goldfische daher. Nicht nur bei Aquarienbesitzern war die Krippe der Renner.

So ging es Jahr um Jahr weiter. Es kam bei Lang die Harry-Potter-Krippe mit Ron und Hermine als Josef und Maria, mit Hagrid als Hirten und Harry, Fred und George als Magier aus dem Ostern. Voldemort stand als König Herodes im Hintergrund.

Es erschien wieder ein Jahr später am Stand von Herrn Kurz die Entenhausen-Krippe: Donald und Daisy Duck schlüpften in die Rolle des heiligen Paares, und Tick, Trick und Track kamen als Sternsinger. Auch Onkel Dagobert besuchte die Krippe mit einer Kassette voller Gold – natürlich aus Plastik.

Der Clou des nächsten Jahres bei Lang war eine Krippe nur aus Barbie-Puppen. Die war allerdings nur für Reichere bestimmt und lief nicht so gut.

Dafür war die Kurzsche Krieg-der-Sterne-Krippe wieder ein Renner mit Prinzessin Leia als Maria und Han Solo als Josef. Luke Skywalker durfte Engel sein, und die Schafe waren die fantastischsten Aliens mit zwei bis sechs Köpfen und bis zu siebzehn Beinen. Obi-Wan Kenobi, Darth Vader und Yoda gaben eindrucksvolle Könige.

Dagegen war die Gebrüder-Grimm-Krippe von Herrn Lang fast brav, aber Schneewittchen als Maria, das tapfere Schneiderlein als Josef und dem Goldesel aus Tischlein-deck-dich natürlich als Esel kamen vor allem bei den Eltern von kleineren Kindern gut an. Den Umsatz steigerte noch eine pfiffige Idee: Maria gab es wahlweise auch als Dornröschen, Aschenputtel oder Rotkäppchen; viele Eltern waren unsicher, welche Figur ihren Kindern am besten gefallen würde. Also kauften sie sicherheitshalber alle vier Marien.

Herr Kurz war voll Neid, und in seinem Kopf begann für nächstes Jahr schon eine Erotik-Krippe Gestalt anzunehmen; damit konnte er vielleicht alles toppen. Aber Herr Lang freute sich über das gute Geschäft von diesem Jahr.

***

Gar nicht freute sich Pfarrer Simon, der seine Kirche und sein Pfarrhaus neben dem Weihnachtsmarkt hatte. Jedes Jahr ärgerte er sich mehr über die Ideen von Kurz und Lang, die mit Weihnachten gar nicht zu tun hatten. Es ging anscheinend nur noch um das Geschäft. Und als er am Abend in der Kirche saß, da sagte er halb betend und halb klagend:

„Herr, so geht das nicht weiter. Siehst du, was sie aus deiner Geburt gemacht haben? Geld, Geld, Geld: keine Idee ist verrückt genug, um noch mehr Umsatz zu machen. Die Geschichte von deiner Geburt wird ausgeschlachtet wie eine Weihnachtsgans. Du hast doch damals im Tempel die Stände der Händler umgeworfen. Soll ich so etwas in der Art auch machen?“

Und es schien ihm, als ob der Herr antworten würde:

„Simon, ich würde manchmal selbst gern dreinschlagen. Es wäre kein Problem, den heuchlerischen Weihnachtsmarkt mit einem kleinen, heftigen Schneesturm zu schließen oder drei Wochen Dauerregen zu schicken, so dass niemand mehr Lust zum Kaufen hat. Aber ich tue das nicht.“

Und Simon wandte ein: „Aber stört dich das nicht: Du als Elch, als Ente, als Saurier, als Außerirdischer – die Leute machen dich doch zum Gespött.“

Und wieder hörte er die Stimme in sich: „Ich mag das alles nicht. Aber zum Gespött zu werden, das passiert mir nicht zum ersten Mal. Der Spott damals am Kreuz, der tat viel mehr weh. Das hier – das sind nur kleine Dummheiten.“

„Aber Herr, muss man diese Dummheiten dulden – man kann ja auch Verdummung sagen.“ So klagte Simon.

Und wieder hörte er: „Bei all diesen Verdrehungen: Vielleicht bleibt der Kern der Botschaft doch bei manchen hängen, der Kern der Botschaft, dass ich Mensch unter Menschen war. Die alten Krippen, die ließen mich in Oberbayern oder in Franken oder in Italien geboren werden, in der Lebenswelt der Menschen, wie sie sie kannten. Vielleicht sind Eisbären und Zauberer und Donald Duck heute auch die Welt – ich meine die Denkwelt – mancher Menschen. Vielleicht kommt doch etwas an.

Du aber, tu was deine Aufgabe ist: Setze Besseres dagegen. Verkündige meine Geburt mit den Worten, die dir und mir vertraut sind. Keine Angst, die haben ihre eigene Kraft und kommen an. In jenen Tagen erließ der Kaiser Augustus den Befehl … – du weißt selbst, wie es weitergeht. Bleib einfach dieser Botschaft treu. Das genügt.“


Peter Wünsche, 9.12.2012

peter.wuensche@t-online.de

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